Rassismus hat viele Gesichter. Überall auf der Welt projizieren Menschen ihre Wut über die Bedrohung ihrer persönlichen und kollektiven „Reinheit“ oder den Verlust einer fiktiven Unschuld auf andere Menschen, Gruppen, Völker. Sie sagen: „Es gibt einen Angriff auf unsere Interessen, eine Überfremdung unserer kulturellen Identität, eine Intrige der Mächtigen, einen Verrat am einfachen Mann auf der Straße. […]
Zwei Menschen, die miteinander in Beziehung treten, beeinflussen sich ebenso wie Völker, die sich aus z.B. politischen oder wirtschaftlichen Gründen verbünden. Wir Westeuropäer werden erleben, dass sich durch die Erweiterung der EU und insbesondere durch die Aufnahme von Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung unser abendländisches Selbstverständnis wandeln wird. Es ist aber auch zu erwarten, dass die der jeweiligen „nationalen Reinheit“ Verpflichteten dies nicht widerspruchslos hinnehmen werden. Über den nationalen Suppentellerrand geschaut, lässt das Spannungsfeld Globalisierung – internationaler Terrorismus nur erahnen, welches Gewaltpotential in einer zusammenwachsenden Welt steckt, in der die Akteure ihre jeweils eigene, kollektive Systemwirklichkeit brutal zu verbreiten suchen. […]
Rituale und ungeschriebene Gesetze der Loyalität, Selbstaufopferung bzw. Bestrafung innerhalb krimineller, religiöser und politischer Gruppen funktionieren, weil Glaubenssätze und Ängste in einer kollektiven Matrix höchst machtvolle Faktoren sind. Ein in diesem Sinne sehr aktuelles Beispiel ist die für unser westliches Denken schwer nachvollziehbare Selbstaufgabe muslimischer Selbstmordattentäter. Mit den Worten „Allah ist groß, Allah ist mächtig, es gibt keinen Gott außer Allah!“ auf den Lippen zünden sie Sprengsätze am eigenen Leibe. Nur ist jener Allah, den diese Menschen anrufen, weder Allah – noch sonst ein Gott! Vielmehr ist es die kollektive Matrix ihrer Glaubensbrüder, einer zutiefst polarisierten, in Jahrhunderten durch Schmerz und Leiden zusammengeschweißten, immer wieder zur Gewalt getriebenen Gemeinschaft.
Ich möchte diesen Punkt wiederholen, weil er aus meiner Sicht der Schlüssel zum Verständnis fanatischer (nicht nur muslimischer!) Religiosität ist:
Die Anhänger einer Glaubensgemeinschaft fühlen sich real mit einer höheren Macht verbunden, mit einer Kraft, die größer ist als sie selbst, mit einer Verheißung ewigen Lebens, der sie ihr Leben widmen. Diese „höhere Macht“ ist wirklich! Es handelt sich um die religiös-kollektive Matrix ihrer Glaubensgemeinschaft. Glaube ist das Siegel ihrer Verbundenheit, bei christlichen Nonnen sogar einer Art „Ehe mit dem Erlöser“.
Bis zum Rand gefüllt mit Schmerz, mit einem unstillbaren Durst nach Gerechtigkeit und mit einer über Generationen angestauten Sehnsucht nach Erlösung – aus dem Schoß religiöser Kulturen kamen und kommen jene Brandstifter, die die Welt läutern, Gottes bzw. Allahs Willen – und damit ihrem eigenen Begriff von Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen wollen.
Erstaunlich (vielleicht aber auch nicht) ist allerdings UNSER Kurzzeitgedächtnis: gerade ein Menschenleben ist es her, dass das deutsche Volk eine Herrschaft des Ariertums auf dieser Erde errichten wollte und Millionen zur Schlachtbank führte.
“Die menschliche Matrix – Ursprung des Kämpfens – Quelle der Menschlichkeit” (Michael Czaykowski 2005/ Windpferd-Verlag)
,